Abgesang der Demokratie

Rechtzeitig zum Jahrestag der Februarkämpfe erschien dann doch noch eine Broschüre aus dem näheren Parteiumfeld. Der Verein für Geschichte der ArbeiterInnenbewegung hat eine knapp 100-seitige Broschüre herausgebracht. Darin liest man ein Interview mit zwei MitarbeiterInnen des VGA, die damals Kinder waren, sowie vier inhaltliche Artikel. Gerald Netzl hat die Broschüre rezensiert.

 

Heinz Weiss schreibt über den Raub des Kinderfreunde-Eigentums, das sich Staat und faschistische Verbände aufteilten. Weiss zeigt in seinem wertvollen Beitrag akribisch, dass das Verbot der Partei, der freien Gewerkschaften und sämtlicher sozialdemokratischer Vorfeld- und Kulturorganisationen einen unglaublichen Raubzug des Regimes zur Folge hatte. Das ist umso gemeiner, wenn man weiß, unter welch schwierigen Bedingungen nach dem Weltkrieg und in der Wirtschaftskrise Ferienheime, Kindertagesstätten etc. gebaut und eingerichtet wurden.

Rudolf Bogensberger zeichnet die Übernahme der „roten“ Zentralsparkasse der Gemeinde Wien nach (für die jüngeren LeserInnen: die „Z“ war die 1907 gegründete „Großmutter“ der UniCredit Bank Austria). Für sozialdemokratische Parteimitglieder im Roten Wien war es fast selbstverständlich, bei der „Z“ zu sparen. Interessant erscheint, dass nach dem 12. Februar die Leitung der Zentralsparkasse die Maßnahmen des austrofaschistischen Regimes vorbehaltlos unterstützte und nur ein einziger Mitarbeiter entlassen wurde: Ex-Stadtrat Hugo Breitner, der erst am 1. Oktober 1933 als Direktor-Stellvertreter begonnen hatte.

 

Veronika Dumas und Hanna Lichtenbergers Beitrag behandelt die Geschlechterverhältnisse im Widerstand der Revolutionären Sozialisten. Was anfangs wie eine Seminararbeit in Gender Studies erscheint, erweist sich als wertvollster Beitrag der Broschüre. Anhand biografischer Skizzen über Rosa Jochmann, Marie Emhart, Hella Postranecky und Gabriele Proft zeigen die Autorinnen die Marginalisierung von Frauen in der sozialdemokratischen Bewegung und durchbrechen diese. Ein wahrer, interessanter und politisch schmerzhafter Befund, gerade weil er weitgehend auch auf die Freiheitskämpfer/innen zutrifft.

Wolfgang Maderthaner bedient sich für seinen Artikel über den „Nachfebruar“ Karl R. Stadlers Buchtitel der „Opfer verlorener Zeiten“. Er stellt dar, wie das siegreiche Regime die Verlierer demütigte, wie es wirtschaftliche und finanzielle Repressalien (Massenentlassungen, Berufsverbote) einsetzte. Maderthaner beleuchtet weiters die Rolle der Justiz und streift die Standgerichtsbarkeit, den Schutzbundprozess 1935 und den großen Sozialistenprozess 1936.

 

So wertvoll die Broschüre ist, kann ihr leider der Hinweis auf das fehlerhafte Lektorat nicht erspart bleiben, gerade weil es sich beim VGA um eine hochkompetente Institution und beim Anlass um einen wichtigen Jahrestag für uns handelt. Es dürfte nicht passieren, dass der Schutzbundprozess irrtümlich nach 1934 gelegt wird oder Anwalt Steinitz „Seinitz“ heißt. Die Standgerichte fällten 20 Todesurteile, nicht „dutzende“, wie man liest. Positiv ist, dass es reichlich Fußnoten gibt, die zum Weiterlesen und tiefer Eindringen in die Vergangenheit einladen, auch das Layout und die Bebilderung sind gelungen.

 

BILD: Die Publikation ist in der Bibliothek des VGA (geöffnet Dienstag bis Donnerstag 10-16 Uhr) zum Preis von 28 Euro erhältlich.

(CREDIT: VGA)